Die Wäscheleinen-Schaukel
Autor Ahmad Danny Ramadan im Gespräch
Hinter dem eher schnörkellosen Titel Die Wäscheleinen-Schaukel verbirgt sich große Prosa: Ahmad Danny Ramadan ist ein schwuler Autor aus Syrien, der im Jahr 2014 als Flüchtling nach Vancouver kam. Sein autobiografischer Roman erzählt in vielen Rückblicken vom Leben als schwuler Mann in Zeiten des syrischen Regimes, vom Alltag des Bürgerkriegs in Damaskus und von der mehrjährigen Flucht bis nach Kanada. Ein bewegendes Schicksal, verwandelt in einen poetischen Roman.
Eigentlich befindet sich Ahmad Danny Ramadan derzeit in einer mehrmonatigen Medienpause, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Für die Büchergilde hat er aber eine Ausnahme gemacht und sich bereit erklärt, einige Fragen per E-Mail zu beantworten.
Lieber Danny, was ist eine Wäscheleinen-Schaukel und warum ist sie so wichtig, dass du dich dazu entschieden hast, den Roman danach zu benennen?
Die Wäscheleinen-Schaukel ist eine unschuldige Erinnerung, die sich in den Gedanken meiner Hauptfigur festgesetzt hat; ein Moment völliger und vollkommener Freude, den er als Kind mit seiner Mutter teilte. Es war für mich von Bedeutung, diese Erinnerung zu benennen, da sie zeigt, dass dieser Charakter trotz aller Herausforderungen, denen er sich stellen musste, Freude, Liebe und Glück kannte. Es war auch sinnvoll, das Buch danach zu benennen, weil das für mich den Kern des Buches ausdrückt: Diese Figuren hatten Probleme, aber gebrochen wurden sie nie.
Wie ist es, vier Jahre nach der Veröffentlichung auf Englisch über diesen Roman zu sprechen?
Ermüdend. (lacht) Ich mache nur Spaß. Es ist wunderbar für mich, dass ich vier Jahre nach der Veröffentlichung immer noch Liebe für das Buch erhalte. Was für eine Freude es ist, zu sehen, dass es in mehrere Sprachen übersetzt wurde, zuletzt ins Deutsche, und so ein neues Publikum auf der ganzen Welt erreicht. Ich könnte ehrlich gesagt nicht stolzer sein.
Warum hast du dich dazu entschieden, den Roman auf Englisch statt auf Arabisch zu verfassen? Macht die Wahl der Sprache einen Unterschied aus in der Art, wie du schreibst?
Als ich mit dem Verfassen von Die Wäscheleinen-Schaukel begann, lebte ich in Beirut. Ich wusste aber, dass ich nach Kanada auswandern würde, und wartete darauf, dass der Papierkram erledigt war. Ich wusste auch, dass ich Autor werden wollte. (Ich hatte zuvor zwei Bücher auf Arabisch veröffentlicht und im Journalismus gearbeitet.) Also traf ich die logische Entscheidung, den Roman auf Englisch zu schreiben, um meine neue Community in Kanada zu erreichen. Der Wechsel war interessant. Ich nenne es Betrug: Meine Sprache, das Arabische, ist sehr spezifisch und poetisch und für die Ohren der westlichen Welt fremd. Das verlieh meiner englischen Sprache eine einzigartige Stimme, die von niemandem in meiner Umgebung so erreicht wird. Ich glaube, dass mir dieser Wechsel ziemlich leichtgefallen ist und dass er mir gutgetan hat.
Wenn wir uns von einem Freund verabschiedeten, hatten wir immer im Hinterkopf, dass es das letzte Mal sein konnte. Mit der Zeit verinnerlichten wir dieses Wissen und es wurde zur Normalität; wir akzeptierten, dass uns irgendwann das Leid ereilen würde, und es war sinnlos, sich schon vorher aufzuregen.
Der Roman richtet sich an ein „Du“, da der Erzähler, der Hakawati, seinem sterbenden Partner Geschichten erzählt. Wieso hast du dich für diese ganz eigene Du-Perspektive entschieden?
Weil ich hungrig nach Bestrafung bin? Ich scherze. Die Zweite-Person-Erzählung ist schwierig und beim Schreiben ehrlich gesagt ziemlich unangenehm. Vor allem, weil es einem als Autor viele Nuancen abverlangt, um sicherzustellen, dass der Leser nicht den Fokus und das Interesse verliert. Die Wirkung ist jedoch klar: Der Leser findet sich in den Text integriert, fühlt die Emotionen der Hauptfiguren und wird im Laufe der Handlung zu einem aktiven Zuhörer. Das Buch fühlt sich an, als stünde es im Ungleichgewicht, und das ist ein Gefühl, mit dem ich den Leser zurücklassen möchte – ähnlich, wie sich ein Flüchtling, der seine Heimat verloren hat, im Ungleichgewicht fühlt.
Während die Erzählerin aus 1001 Nacht Schahrasad, die im Roman auch erwähnt wird, Geschichten erzählt, um nicht zu sterben, erzählt der Hakawati Geschichten, damit sein Freund am Leben bleibt. War diese Struktur von Anfang an Teil des Schreibens oder hast du den Rahmen später ergänzt?
Dies war eine sehr kleine Metapher, mit der ich zu Beginn des Buches gespielt habe, aber meine Lektorin war begeistert, hat sie aufgegriffen und mich gebeten, sie weiter in das Buch einzubauen. Deshalb sind die Kapitel alle nach berühmten Geschichten aus 1001 Nacht betitelt, und deshalb erinnert die Trilogie der Figuren (Hakawati, der Hörer und der Tod) an die Trilogie der Figuren in 1001 Nacht: Schahrasad, der Sultan und der Schwertkämpfer.
Beide Protagonisten im Roman sind alt, einer liegt im Sterben. Warum hast du diese Perspektive zweier alter Männer, die vierzig, fünfzig Jahre zurückblicken, gewählt?
Das Ziel an sich war keine „Reise in die Sicherheit“, die Geschichte ist keine Heldenreise, die mit einer Herausforderung (Homofeindlichkeit, Bürgerkrieg) beginnt und mit einem Triumph endet (Ankunft in Kanada als Traumland). Das Ziel war, eine Geschichte zu erzählen, bei der man weiß, dass die Charaktere bereits in Sicherheit sind, aber mit dem Trauma und den Kämpfen der Vergangenheit leben und zugleich versuchen, menschlich und verliebt zu bleiben. Ich wollte damit sagen: Das Ende ist nicht am Flughafen, wenn man in Kanada ankommt. Es ist irgendwo viel später im Leben.
Eine Art dritter Protagonist, wenn man so will, ist der Tod selbst, wie eine lebendig gewordene Allegorie. Auch wenn der Tod dabei ist, das Leben vom Partner des Ich-Erzählers zu nehmen, wirkt er freundlich, wird später sogar als eine Art Familienmitglied beschrieben. Warum hast du dich dazu entschlossen, den Tod als „lebendige“ Person zu schildern, und warum wirkt er eher nett denn wie eine Bedrohung?
Weil der Tod ist wie eine Naturgewalt: Hurrikane sind nicht böse, Gewitter nicht von Natur aus schlecht, Haie keine bedrohlichen Kreaturen und der Tod als Entität ist nicht schlecht – er ist eine Unvermeidbarkeit. Die Bösen/Beängstigenden sind die Figuren, die anderen durch ihre Handlungen oder ihre Untätigkeit den Tod aufzwingen. Ich denke, wenn man mit Tod und Zerstörung aufwächst, muss man einen Weg finden, damit umzugehen, ohne den Tod selbst zu fürchten.
In einer Szene taucht der ehemalige Diktator (und Vater des gegenwärtigen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad) Hafiz al-Assad auf, und er taucht nicht nur auf, sondern ist auch in der Lage, seine Seite der Geschichte zu erzählen. Aus welchem Grund hast du dich dazu entschieden, ihm eine Stimme zu geben?
Weil es Spaß macht, den Bösewicht zu spielen? (lacht) Es fing als eine Art Übung für mich an, um zu sehen, ob ich die Geschichte aus seiner Perspektive schreiben kann, um zu sehen, wie sich das anfühlt. Wie sich herausstellte, war es eine erfolgreiche Schreibübung, und am Ende habe ich den Text in das Buch eingefügt.
Du bist ein Aktivist für die LGBTQ-Community. Worin genau besteht dein Aktivismus?
Ich leite eine Veranstaltung namens „An Evening in Damascus“: Das ist eine Spendenaktion für LGBTQ+-Flüchtlinge aus Syrien, die hier in Kanada ein Zuhause finden sollen. In den vergangenen sieben Jahren hat dieses Event über 200 000 Dollar gesammelt. Früher habe ich mich mehr in der Basis engagiert, aber ich habe festgestellt, dass ich im Fundraising am erfolgreichsten bin und dass es andere Leute gibt, die vor Ort besser sind als ich. Also helfe ich mit dem, was ich kann.
Außer in Syrien hast du auch in Ägypten, der Türkei, dem Libanon und Jordanien gelebt – würdest du jetzt Kanada als dein Zuhause beschreiben?
(lacht) Ich glaube nicht, dass „Zuhause“ ein monogames Konzept ist. Man darf all dies Orte, an denen man gelebt haben, Heimat nennen. Ich bin in Kanada zu Hause und ich habe ein Zuhause in Syrien, eines in Ägypten und so weiter. Ich denke, all diese Heimaten sind meine, auch wenn ich nicht in ihnen lebe.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Isabella Caldart.
Der Autor
Ahmad Danny Ramadan, geboren 1984 in Damaskus, ist syrischkanadischer Schriftsteller, Übersetzer und Aktivist in der Flüchtlingsund LGBTQ-Community. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit den Themen Immigration, Identität und Diaspora. Ramadan lebt mit seinem Ehemann in Vancouver, British Columbia.
Die Übersetzerinnen
Heide Horn arbeitet seit 1988 als freie Übersetzerin aus dem Englischen und hat zahlreiche Werke aus den Bereichen Belletristik und Sachbuch ins Deutsche übertragen. Sie lebt in Sauerlach.
Christa Prummer-Lehmair lebt sind München und übersetzt seit 1983 Belletristik und Sachbücher aus dem Englischen. Wie Heide Horn ist sie Mitglied im Übersetzungskollektiv Druck-Reif.
Das Cover-Motiv
Unser Büchergilde Weltempfänger-Cover No 3 zeigt ein besonderes ägyptisches Graffiti von einer Mauer nahe dem Tahrir-Platz in Kairo, das eine ganz eigene, aktivistische Pro-LGBTQ-Geschichte erzählt.
Nach Zusammenstößen zwischen der örtlichen Polizei und Demonstrierenden der LGBTQ-Community in der Mohamed Mahmoud Straße, wurde ein bestehendes Graffiti vor Ort kurzerhand umgestaltet – das Bild der beiden sich küssenden Polizisten („All cops are gays“) bekam eine neue, starke Überschrift: „Homophobia is not revolutionary“.
Geradezu symbolisch steht diese Street Art für ein wichtiges Erstarken der Stimmen der LGBTQ-Community in Ägypten. Das gleichzeitige „Trenden“ von Hashtags wie #ضد_رهاب_المثلية (#gegenhomophobie) zeigt, dass die dortige LGBTQ-Bewegung Mut fasst, sich verstärkt on- und offline zu zeigen und zu organisieren.
Von dieser (leider noch viel zu oft) gefährlichen Sichtbarkeit erzählt auch Ahmad Danny Ramadan in seinem Roman Die Wäscheleinen-Schaukel. Das Buch und sein Cover vermitteln eindrücklich, dass „Homophobie nicht revolutionär ist“.
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