Idylle oder Albtraum?


Verfluchte Misteln von Nataša Kramberger

Die slowenische Autorin Nataša Kramberger stellt in Verfluchte Misteln das Landleben auf die Probe, lässt das slowenische Landleben mit der Berliner Großstadt kollidieren – und so gar nicht in eine Idylle münden. Dafür aber in einen großartigen Roman über Bedürfnisse, Vorurteile und die Vorstellung vom guten Leben.

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Das Leben in der Stadt. Es ist ein Traum, alles nur einen Steinwurf entfernt: Supermarkt, Kino, Theater, Bank, Kneipen, Geldautomat, Kiosk, Fitness-Center, Theater, Apotheke – you name it. Gut, dazu gibt es auch noch Baustellen, Autos, Menschen, und von allen dreien nicht zu wenig. Im Gegenteil, die Stadt scheint fast überzuquellen vor ihnen. Flucht schier unmöglich.

Dagegen das eigene Häuschen auf dem Land. Den Lebensunterhalt mit der Arbeit der eigenen Hände verdienen und eigene Lebensmittel anbauen, gesundes Obst und Gemüse, bei dem man weiß, woher es kommt. Es entsteht eine tiefe Wärme, wenn man einen Unterschied machen kann, saisonal, lokal, alles gleich vor der Tür. Ein Traum!

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Im Roman Verfluchte Misteln der slowenischen Autorin Nataša Kramberger geht es nicht nur darum, lästige Baumparasiten zu verfluchen. Ihre Protagonistin, eine talentierte Schriftstellerin aus Berlin, ergreift aus einer spontanen Laune heraus die Chance und übernimmt den Hof ihrer Mutter auf dem idyllischen slowenischen Land. Sie sehnt sich nach Veränderung, möchte die Unsicherheiten des Schriftstellerinnendaseins hinter sich lassen. Obwohl sie nicht genau weiß, was sie erwartet, lässt sie sich auf dieses neue Abenteuer ein.

Doch die Idylle, von der sie träumte, erweist sich als unerreichbar. Die Erzählerin findet keinen festen Halt und pendelt rastlos zwischen Berlin und Slowenien hin und her. Sie kann sich weder von ihrem alten Leben lösen noch das neue richtig greifen. Natur und Behörden scheinen sich gegen sie verschworen zu haben, ganz zu schweigen von den anderen Dorfbewohner:innen – und ihrer eigenen Großmutter. Gleichzeitig wird in Berlin ein kleiner Park abgerissen, um Platz für das neue Suhrkamp-Verlagshaus zu schaffen. Dieses Projekt symbolisiert die fortschreitende Gentrifizierung und die Verdrängung des Prekären in der Stadt.

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Verfluchte Misteln zieht die LeserInnen von Anfang an in seinen Bann, während die Ich-Perspektive wild zwischen Gegenwartshandlung, Erinnerungen und Reflexionen hin und her wechselt. Ein Wechselbad der Gefühle, das im Laufe des Romans, wenn man die Protagonistin samt ihrem ganz eigenen Erzählstil besser kennenlernt, immer fesselnder wird. Ab der Hälfte des Buchs spitzt sich das Spiel zwischen Stadt und Land zu, während sich die schlimmsten Seiten beider Welten entfalten. Die wilde Natur tritt neben das Bürokratiemonster, das von der furchterregenden Gentrifizierung und engstirnigen DorfbewohnerInnen flankiert wird.

Der Roman verknüpft damit nicht nur Stadt und Land, sondern auch Deutschland und Slowenien, das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2023. Das ist kein Zufall, arbeitet die Autorin Nataša Kramberger doch als Kulturvermittlerin zwischen beiden Ländern. Verfluchte Misteln bietet damit beides, Clash und Verbindung, und schildert Unterschiede wie Gemeinsamkeiten beider Länder ebenso launig wie lebendig. Ein Roman, wie gemacht für den Gastlandauftritt Sloweniens – aber auch ohne diesen ein besonderes literarisches Erlebnis.

 

Stefan Diezmann arbeitet als Verlagshersteller in Berlin und schreibt über Literatur auf dem Blog Poesierausch.

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Die Autorin

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Nataša Kramberger, geboren 1983 in Maribor, Slowenien, ist Schriftstellerin, Kolumnistin und Öko-Landwirtin. Im Sommer lebt sie in Slowenien und betreibt mit dem Öko-Kunstkollektiv Zelena Centrala einen kleinen biodynamischen Bauernhof. Im Winter lebt sie in Berlin, wo sie den slowenisch-deutschen Kulturverein Periskop leitet.


Die Übersetzerin

Liza Linde, geboren 1989 in Reutlingen, lebt und arbeitet als Übersetzerin für die Sprachen Deutsch, Slowenisch und Englisch in Ljubljana. Sie übersetzt Prosa, Lyrik und eine Vielzahl anderer Texte aus den Bereichen Kultur und Politik, darunter Werke von Anja Zag Golob, Tomaž Šalamun und Mojca Kumerdej.


Cradle-to-Cradle (C2C)

Unser Partner GGP-Media über die C2C-zertifizierte Buchherstellung: „Die Idee des Cradle-to-Cradle-Prinzips ist es, von Anfang an in kompletten Produktkreisläufen zu denken und Abfälle zu vermeiden. Im Idealfall werden die verwendeten Materialien und Rohstoffe nach der Nutzung wieder vollständig in den Produktionsprozess zurückgeführt. Rohstoffe werden als ‚biologische Nährstoffe‘ zurückgeführt, d.h. sie werden nach Gebrauch kompostiert, ohne dass sie schädliche Rückstände hinterlassen. Oder die Rohstoffe werden zu ‚technischen Nährstoffen‘ und bleiben möglichst in einem endlosen technischen Kreislauf erhalten. Alle verwendeten Materialien bleiben so in einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.“

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