„Das Wort ‚Heimat‘ finde ich abstoßend.“


In ihrem Debütroman Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht lässt Julia Jost ihre namenlose Erzählerin von einem Tag im Juni 1994 am Fuß der Karawanken erzählen. Dort ist ihre Familie gerade mit dem Auszug aus einem Kärntner Gasthof beschäftigt – ein kunstvoll gemaltes Bild Österreichs in den 1990er-Jahren entsteht. Grund genug, um mit der Autorin über den Entstehungsprozess und die Themen des Romans zu sprechen.

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Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht ist Ihr Debütroman. Was hat Sie zu diesem Debüt bewogen? Und was müssen wir über die Welt wissen, in die Sie uns entführen?

Ich war endlich so weit, meinen ersten Roman zu schreiben. Ich denke, die Themen in meinem Buch, aber auch meine Sprache legitimiert es. Die Welt in meinem Buch lernt man kennen, wenn man es liest. Da braucht man vorher nichts zu wissen.

 

Nicht nur inhaltlich punktet Ihr Roman mit Originalität – auch die Wahl des Titels für Ihr Buch ist mehr als außergewöhnlich. Was war zuerst da – der besondere Titel oder die Geschichte selbst?

Den Titel habe ich später im Schreibprozess ausgewählt. Das ist ein Satz aus meinem Buch.

Ein Ausschnitt der Welt, der nur bis zu den Knien der Erwachsenen geht, schien mir ausgezeichnet.

Sie haben Bildhauerei, Philosophie und Theaterregie studiert, bald hat Ihre erste Theaterarbeit Rom am Volkstheater Wien Premiere. Inwiefern sind diese so unterschiedlichen Disziplinen eine gute Schule fürs Schreiben?

Alles, jede Erfahrung ist eine gute Schule. Meinen Abschluss habe ich übrigens nur in Regie gemacht. Und für das Theater werde ich in Zukunft nicht mehr schreiben, denke ich. Aber wirklich weit liegen diese Studien oder Disziplinen ja nicht auseinander. Alle haben mit Sprache zu tun, vor allem die Bildhauerei, für mich zumindest.

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Vor fünf Jahren haben Sie mit einem Auszug aus dem Roman den Kelag-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gewonnen. Wie ging es danach mit dem Buch und Ihrem Schreiben weiter? Ist so ein Preis Ansporn oder auch Bürde?

Danach hatte ich die Möglichkeit, etwas fokussierter zu schreiben. Und das habe ich dann auch getan. Preise helfen einem natürlich. In Klagenfurt wird ja nicht der Nobelpreis verliehen, der einem jedes Privatleben raubt.


Was in Ihrem Roman auffällt, ist der enge erzählerische Rahmen von gerade mal einem einzigen Tag, an dem die Handlung stattfindet. Warum haben Sie sich für eine solche Inszenierung entschieden, und gab es Vorbilder für Ihr Erzählen?

Weniger als ein Tag! Keine Vorbilder, nein. Der Text ist nicht linear erzählt. Deswegen hielt ich eine klare Rahmung für wichtig, die in der Lage ist, alles zusammenzuhalten. Ein Ausschnitt der Welt, der nur bis zu den Knien der Erwachsenen geht, schien mir ausgezeichnet. Da muss eigentlich alles aus der Erinnerung und/oder Fantasie kommen.

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Angesiedelt ist Ihr Roman in Kärnten. Was gab den Ausschlag, diesen Landstrich als Schauplatz für Ihre Geschichte auszuwählen?

Jörg Haider. Aber ich wollte auch eine Region wählen, in der ich mich halbwegs auskenne.

 


Apropos Jörg Haider: Ein wiederkehrendes Thema in Ihrem Roman ist die immerwährende Faszination für den Faschismus in Österreich. Wie erklären Sie sich diese Faszination der Österreicher:innen für dieses Gedankengut und den wiederkehrenden Erfolg der FPÖ?


Ich bin mir unsicher, ob Faszination der richtige Begriff ist. Neo-Faschismus finden wir auf der ganzen Welt. Heute hat er vielleicht viel mehr Gesichter. In den 1980er-Jahren jedenfalls brach dieser neue Populismus an. Es geht um die Untrennbarkeit von Geld und Faschismus. Das hört das Bürgertum nicht gern, ich weiß. Der Rechtspopulismus in seiner neoliberalen Form legte den Grundstein für das, mit dem wir heute im gesamten Westen konfrontiert sind. Ich wollte mit diesem Thema etwas über unsere Gegenwart erzählen.

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Wie blicken Sie auf die aktuellen Entwicklungen in Ihrem Heimatland? Was würden Sie sich für die Zukunft Österreichs wünschen?


Das Wort Heimat finde ich abstoßend. Es gibt ein Buch mit dem guten Titel Eure Heimat ist unser Albtraum. Was ich mir für Österreich wünsche? Nichts anderes als für die ganze Welt: weniger Korruption, weniger Arschlöcher.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Jost!

 

Die Fragen stellte Marius Müller.


Die Autorin

Julia Jost, geboren 1982 in Kärnten, Österreich, studierte Philosophie, Bildhauerei und Theaterregie. Sie arbeitete als Regisseurin und Dramaturgin in der freien Szene sowie u. a. am Thalia Theater Hamburg. 2019 wurde sie für einen Auszug aus Wo der spitzeste Zahn der Karawanken … mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. Julia Jost lebt in Wien und Berlin.