Verliebt in die spitze Zunge von Jane Austen
Jane Austen, wie man sie sonst nicht kennt: Auf dem Höhepunkt des Schauerliteratur-Hypes entschloss sich die englische Autorin, eine Persiflage auf das Genre zu schreiben. Northanger Abbey ist ebenso gewitzt wie ungewöhnlich und, natürlich, auch feministisch. Die exklusive Ausgabe für die Büchergilde wurde grandios von Malika Specht illustriert.

„Niemand, der Catherine Morland als Kind gekannt hätte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie zur Romanheldin bestimmt sei“, lautet der erste Satz des Ende 1817 erschienenen Romans Northanger Abbey von Jane Austen. Es war bereits der fünfte Roman der Autorin, die 1775 in der englischen Grafschaft Hampshire als siebtes von acht Kindern als Tochter eines Pfarrers geboren wurde. Und es war ihr außergewöhnlichster: Northanger Abbey ist eine Satire auf das im 18. Jahrhundert vor allem in England überaus beliebte Genre der „Gothic Novel“, der Schauerliteratur.
Für einen gut erzählten Schauerroman braucht es einige Schlüsselelemente, darunter Burgruinen oder verwinkelte Schlösser, abgeriegelte Türen, Truhen – und natürlich eine mutige Heldin, die einem seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten in den Gemäuern verborgenen Familiengeheimnis auf die Spur kommt und dabei auch vor scheinbar übernatürlichen Begegnungen nicht zurückschreckt. Catherine Morland, Hauptfigur in Austens grandioser Persiflage, betrachtet sich selbst als eine solche Heldin, denn Schauerliteratur zu lesen, allen voran den Roman Die Geheimnisse von Udolpho der britischen Schriftstellerin Ann Radcliffe, gehört zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. In dem Dorf, in dem die 17-Jährige mit ihrer Familie lebt, sind die Chancen für eigene Heldinnentaten allerdings denkbar gering.

Als ein befreundetes Ehepaar sie in den mondänen Kurort Bath mitnimmt, wittert die junge Frau endlich ihre Chance auf eindrückliche Erfahrungen. Und tatsächlich lernt sie, nach stundenlangem Promenieren und ermüdenden Gesprächen über seidene Kleiderstoffe und Zierbänder, den zehn Jahre älteren Henry Tilney und seine Schwester Eleanor kennen. Henry teilt Catherines Liebe zur Schauerliteratur, was Catherine überrascht, gilt das Lesen von Romanen damals doch als Zeichen der Unreife und in erster Linie als „weiblicher Zeitvertreib“.
Catherine ist Feuer und Flamme, als Eleanor und Henry sie einladen, ein paar Wochen in ihrem Zuhause, der Abtei Northanger, zu verbringen. Vor Ort wittert sie sogleich hinter jedem rätselhaften Geräusch ein Mysterium und ist davon überzeugt, dass die früh verschiedene Mutter ihrer neuen FreundInnen keines natürlichen Todes gestorben sein könne – womit sie sich wiederholt vor ihrem Angebeteten Henry Tilney blamiert und die Leserinnen und Leser zum Lachen bringt. Als dann auch noch ein Skandal das Haus der Tilneys überschattet, wird Catherine von jetzt auf gleich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Catherine Morland ist mehr Anti-Heldin als Heldin; sie wird weder als besonders tugendhaft beschrieben, noch sticht sie durch ihr Aussehen heraus. Jane Austen kennt keine Gnade mit ihr, aber auch nicht mit den anderen Charakteren: Mit gewohnt feinem Spott kommentiert die Erzählinstanz das Geschehen und fordert bisweilen sogar die Leserschaft in direkter Ansprache auf, sich ein eigenes Urteil zu bilden; ein für diese Zeit ungewöhnlicher Bruch mit den literarischen Konventionen.

„Ich habe mich sofort in Jane Austens Humor und ihre spitze Zunge verliebt“, sagt Malika Specht, die den Roman für die Büchergilde illustriert hat. Für diesen Auftrag las sie Northanger Abbey zum ersten Mal und fand sich in der blühenden Fantasie von Catherine Morland wieder. „Wenn ich Geschichten lese oder höre, spielen sie sich visuell vor meinem inneren Auge ab. Ich suche mir dann die spannendsten Bilder meines Kopftheaters aus“, erzählt sie. Für die Auswahl der Szenen, die sie illustrierte, habe ihr Fokus auf ebenjener sehr ausgeprägten Vorstellungskraft der Hauptfigur gelegen. „Austen zeichnet Figuren, wie auch ich sie am liebsten zeichne: niemals ideal. Sie irren, scheitern, straucheln, sind stellenweise verlogen, affektiert, naiv und dümmlich.“
Malika Specht, die in Münster Design mit dem Schwerpunkt Illustration studierte und inzwischen Illustrationstechniken lehrt, arbeitet mit Vorliebe mit alten Papieren und Dokumenten, die sie auf dem Flohmarkt findet und die mittlerweile in ihrem Atelier einen mannshohen Schrank füllen. Diese bringen, wie sie erläutert, an sich schon eine eigene Geschichte sowie spannende Details und Texturen mit. Als ersten Schritt hält sie ihre Idee für die Visualisierung einer Szene aber als kleine Skizze – ungefähr in der Größe eines Daumennagels – fest, um zu schauen, ob diese auf Papier überhaupt funktioniert. Es folgen eine größere Konstruktionsskizze und das Übertragen der einzelnen Bildelemente auf verschiedene Materialien, die sie dann wie ein Puzzle zusammensetzt. „Der Prozess kann von außen ziemlich chaotisch wirken, weil ich im Verlauf viel ausprobiere. Am Ende des Tages ist mein gesamtes Atelier voller Schnipsel“, sagt sie.

Tauchen Sie mit den besonderen Beigaben noch tiefer in die Welt von Jane Austen ein!
Dass sie gerne mit altem und bereits genutztem Papier arbeitet, passt zu dem Text, der selbst bereits über zweihundert Jahre alt ist. Und weil es – wie in allen Romanen von Jane Austen – auch in diesem um die romantische Liebe und eine anvisierte Ehe geht, nutzte Malika Specht die Tradition, die damals wie heute im Rahmen von Hochzeiten vor allem im anglophonen Raum gepflegt wird: Eine Braut braucht für diesen Tag „something old, something new, something borrowed, something blue“. Der Roman ist zwar old, seine Erzählweise aber war in der damaligen Zeit durchaus unkonventionell und neu, das direkte Adressieren der Leserinnen und Leser unüblich. Durch Northanger Abbey ziehen sich außerdem zahlreiche Referenzen auf andere Romane, allen voran auf die Schauerliteratur. Jane Austen borgt sich wiederholt deren Stilelemente und wendet sie ins Komische.
Und der letzte Bestandteil, das Blaue? Hat Specht visuell eingebaut, dessen tieferer Sinn ergibt sich aber erst bei genauerem Nachdenken: „So wie Catherine keine Heldin im klassischen Sinne ist, so sind Haare klassischerweise nicht blau. Mit ihren blauen Haaren und ihren Buchseiten-Kleidern möchte ich Catherine ein Stück der Welt entrücken, durch die sie sich bewegt. Die Farbe zieht sich durch und um das Buch herum“, erklärt die Illustratorin.

Jane Austen wäre nicht Jane Austen, würde sie die zahlreichen Verwicklungen, Missverständnisse und unausgesprochenen Befürchtungen am Ende ihres Romans nicht auflösen und die losen Fäden gekonnt zusammenführen. Catherine Morland, zu Beginn der Geschichte ein naives Landei mit romantisch verklärten Vorstellungen von der Welt, entwickelt sich zu einer selbstbewussten und bodenständigen jungen Frau. Ob sie nach all den Turbulenzen auf den letzten Seiten des Romans doch noch mit Henry Tilney zusammenkommt und ihr buchreifes Happy End findet – es sei an dieser Stelle nicht verraten.
Julia Schmitz arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin. Bücher sind für sie ein Grundnahrungsmittel.
Die Autorin
Jane Austen (1775–1817) wurde in Steventon, Hampshire, geboren und wuchs im elterlichen Pfarrhaus auf. Nach Meinung ihres Bruders führte sie „ein ereignisloses Leben“. Ihre literarische Welt war die des englischen Landadels, dessen wohlkaschierte Abgründe sie mit feiner Ironie und Satire entlarvte. Psychologisches Feingefühl und eine lebendige Sprache zeichnen ihre scheinbar konventionellen Liebesgeschichten aus, die vielfach adaptiert und verfilmt wurden.