Wie die Zukunft war


Mit Es währt für immer und dann ist es vorbei legt die US-amerikanische Schriftstellerin Anne de Marcken einen literarischen Roman vor, der aus der Perspektive einer Untoten erzählt wird. Eine ebenso originelle wie kontemplative Geschichte über das Menschsein, die zwischen Genres transzendiert.

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Ob man sie nun als Untote, Wiedergänger oder Auferstandene bezeichnet: Sie gehören zu den gruseligsten Figuren der klassischen und neuen Horrorliteratur. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wandeln Zombies durch Literatur, Film, Popkultur, auch wenn die mythologischen Ursprünge noch viel älter sind. Anne de Marcken findet in Es währt für immer und dann ist es vorbei einen erzählerisch wie inhaltlich frischen Ansatz für diese Gestalten und ihren tragisch-absurden Zustand zwischen Leben und Tod.

Wir sind genau wie die Lebenden. Der Hunger ist nur eine rabiate Form von Hoffnung. Eine Fata Morgana. Die man nie erreichen kann.

Aus: Es währt für immer und dann ist es vorbei

Eine namenlose Untote bewohnt mit weiteren ihrer Art ein verfallenes Hotel, ringsherum Stille, es ist eine postapokalyptische Welt. Was diese Kolonie auszeichnet, sind Verluste: Kaum jemand erinnert sich an das frühere Selbst oder an die eigene Sprache, darüber hinaus verlieren einige hin und wieder Gliedmaßen. Getrieben sind sie von schier unstillbarem Hunger – auf die letzten vereinzelten Menschen, die sich noch in der Umgebung aufhalten. Auch die Protagonistin geht auf Beutezüge, beschließt aber nach ihrem Angriff auf ein junges Paar, fortan nichts mehr zu essen. Sie denkt daran, dass der Hunger bloß die Leerstelle für alles füllt, was sie einst verlor – darunter eine von ihr geliebte Person. So ist es die wiederkehrende Erinnerung an diese Frau, an einen Tag mit ihr in den Dünen, die sie aufbrechen lässt in Richtung Meer. Sie läuft durch verwüstete Ruinen und überwuchernde Natur, Überreste von menschlichen Siedlungen, zerstört durch ein nicht näher beschriebenes Ereignis. Im öden Land trifft sie auf Personen, die bedeutsam für ihren weiteren Weg sind.

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Mit einnehmender Sprache und großer Vorstellungskraft verbindet de Marcken in Es währt für immer und dann ist es vorbei eine reduzierte Handlung mit Beobachtungen, Gedanken und Erinnerungen der untoten Hauptfigur. Diese nimmt mit ihrem lakonisch-nüchternen Blick die Welt um sich herum wie auch ihren eigenen Zustand wahr. Das liest sich oft unterhaltsam, etwa, wenn die Hotel-Zombies abgefallene Körperteile feierlich auf See bestatten oder die Ich-Erzählerin einen rosa Pullover mit dem glitzernden Aufdruck „Juicy“ überstreift.

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Sehr nahe geht der Roman, wenn Fragmente einer untergegangenen Zivilisation beschrieben werden. Tote Körper, unwirtliche Orte und verstaubte Dinge, die alltäglich waren und nun nutzlos sind, Uhren, Kaffeegeschirr, Spielzeug – und offenbart dadurch einiges über unsere Gegenwart. Ohne Zynismus kreist die Erzählung darum, wie fragil eine Welt wie die unsrige ist, wie unvermeidbar ihr Verlust. So auch dann, wenn sich die Untote an ihre verstorbene Vertraute erinnert, an die Zeit, als es noch ein „du und ich“ gab. Trotz des dräuenden Endes bestand der Glaube an eine gemeinsame Zukunft, was sich einerseits schmerzlich, in seiner Menschlichkeit aber auch nachvollziehbar liest. Etwas Traurig-Hoffungsvolles liegt in dieser andauernden Leuchtkraft zwischenmenschlicher Beziehungen.

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Im Jahr 2024 prämierte eine hochkarätig besetzte Jury, darunter Margaret Atwood und Carmen Maria Machado, Anne de Marckens Es währt für immer und dann ist es vorbei mit dem Ursula K. Le Guin Prize for Fiction und nannte es „ein Werk von still zündender Imagination“. Dank der Übersetzung des österreichischen Schriftstellers Clemens J. Setz hat auch die deutsche Version den besonderen Ton des Originals, sodass man genussvoll langsam lesen möchte, um die Sätze wirken zu lassen. Setz selbst beschrieb de Marckens Prosa als aphoristisch, mit ganz eigener Melodie.

Es währt für immer und dann ist es vorbei widmet sich kreativ der eindringlichen Frage nach dem, was bleibt. Die Zombie-Perspektive gelingt der Schriftstellerin dabei hervorragend und macht das Buch zu einer stimmigen Mischung aus melancholischen Reflexionen, unterhaltsamen Beobachtungen und postapokalyptischem Grauen. Höchst lesenswert!

Marlen Heislitz hatte mit Zombies eigentlich abgeschlossen, begrüßt aber diese Wiederkehr.

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Die Autorin

Anne de Marcken ist Schriftstellerin, Künstlerin und Verlegerin. Ihr zweites Buch Es währt für immer und dann ist es vorbei wurde mit dem Novel Prize 2022 und dem Ursula K. Le Guin Prize for Fiction 2024 ausgezeichnet. De Marcken lebt auf dem Land der Coast Salish in Olympia, Washington, wo sie als Herausgeberin und Verlegerin des Verlags The 3rd Thing tätig ist.


Der Übersetzer

Clemens J. Setz, geboren 1982 in Graz, studierte Mathematik und Germanistik. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Für seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erhielt Setz den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Zuletzt wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis 2021 und dem Österreichischen Buchpreis 2023 geehrt. Er lebt mit seiner Familie in Wien.


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