Was wäre, wenn man nicht diese eine Entscheidung getroffen hätte, sondern jene andere? Was wäre, hätte man der Erwartung getrotzt? Saša Stanišić führt uns an Orte, an denen das auf einmal möglich ist: den schwierigeren Weg zu gehen oder eine unübliche Wahl zu treffen. So wie die Reinigungskraft, die beschließt, mit einer Bürste aus Ziegenhaar in der Hand, endlich auch das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. So wie der Justiziar, der bereit ist zu betrügen, um endlich gegen seinen achtjährigen Sohn im Memory zu gewinnen. Und so wie der deutschbosnische Schriftsteller, der zum ersten Mal nach Helgoland reist, nur um dort festzustellen, dass er schon einmal auf Helgoland gewesen ist.
Träume und Schicksale, verpasste und sich neu auftuende Möglichkeiten und Gelegenheiten, darum geht es in den Episoden in Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne. Es geht auch darum, wie wir dahin gekommen sind, wo wir jetzt stehen. Wie stellen wir uns unsere Leben vor, könnten wir einen neuen Weg einschlagen, birgt das wirklich Chancen oder sollen wir es lieber sein lassen? Oft ist es nur ein winzig kleiner Moment, der unser Leben in neue Bahnen lenkt.
Bei aller Philosophie sprühen die Geschichten außerdem vor Witz und Humor, das Buch macht einfach viel Spaß. Und ich habe mich immer wieder gefreut über Saša Stanišićs unglaubliches Gespür für Sprache, darüber wie er mit ihr umgeht und was dann aus ihr entsteht, was sie transportiert: tiefe Empathie für seine Figuren, ein feinfühliges Verständnis für Situationen und einen offenen Blick auf das Leben.
Nicole Duplois versucht, sich noch mehr Zeit fürs Lesen freizuhalten und wirkt in der Herstellungsabteilung an verschiedenen Ecken und Enden mit.